Positionspapier 2016

Unsere Positionen 2016

  1. Geflüchtete Kinder haben wie alle Kinder das Recht, in ihrer Entwicklung gestärkt zu werden. Die in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Rechte gelten auch für diese Kinder, für deren Schutz und Sicherheit Politik und Gesellschaft verantwortlich sind. Ihr Zugang zu frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung ist nach wie vor erheblich erschwert.
  2. Junge Kinder brauchen eine Normalität im Zusammensein mit anderen Menschen an einem sicheren, anregenden Lebens- und Lernort. Sie brauchen Erwachsene, die ihnen freundlich und feinfühlig begegnen, ihre Kompetenzen erkennen und würdigen, sie vor Ausgrenzung und Abwertung schützen und dafür sorgen, dass sie ihre Potenziale entfalten können. Anregende Lebens- und Lernbereiche und qualifizierte, engagierte Fachkräfte tragen dazu bei, dass junge Kinder sich ihre Umwelt nach und nach angstfrei und behütet erschließen können.
  3. Wer Kinder stärken will, muss ihre Familien stärken und einbeziehen: Geflüchtete Familien brauchen Schutz, Anerkennung und konkrete Möglichkeiten, um selbstbestimmt an der Gesellschaft teilzuhaben. Abwehr und Diskriminierung verletzen die Würde der Eltern und beeinträchtigen ihre Sicherheit und ihre Handlungsfähigkeit im Zusammenleben mit ihren Kindern.
  4. Junge Kinder mit Fluchterfahrungen haben die gleichen Grundbedürfnisse wie all ihre Altersgefährt_innen und sind ebenso individuell verschieden wie sie. Diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind die Basis des Umgangs mit ihnen.
  5. Über die Lebensverhältnisse und -erfahrungen von jungen Kindern geflüchteter Familien gibt es zu wenig gesichertes Wissen. Stattdessen existieren viele Vorurteile, Stereotype und medial vermittelte Bilder, denen differenzierend und aufklärend entgegen gewirkt werden muss.

Unsere Forderungen

  1. Gemäß Artikel 22 der UN-Kinderrechtskonvention sollen geflüchtete Kinder angemessenen Schutz und humanitäre Hilfen in gleicher Weise wie alle anderen hier lebenden Kinder bekommen, unabhängig davon ob sie allein oder in Begleitung von Familienangehörigen reisen.
  2. Gemäß Artikel 10 der UN-Kinderrechtskonvention sollen geflüchtete Kinder mit ihren Familien zusammengeführt werden. Durch die Veränderung des Asylgesetzes – Asylpaket II – wurde der Familiennachzug erheblich erschwert. Diese Veränderung widerspricht dem Rechtsanspruch des Kindes auf das Zusammenleben mit seiner Familie grundsätzlich und muss zurückgenommen werden.
  3. Bestehende bundes- und landesgesetzliche Regelungen zum Kinderschutz müssen in gleicher Weise auf geflüchtete Kinder angewendet werden. Die Jugendämter der Bezirke haben die  Verantwortung, ihr Wächteramt wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass Gefährdungen für diese Kinder abgewendet werden können. Fragen der Zuständigkeit dürfen den Kinderschutz nicht beeinträchtigen.
    Darüber hinaus hat das Land Berlin die Verantwortung, Gefährdungslagen, die der Unterbringung der Kinder in Flüchtlingsunterkünften geschuldet sind, umgehend abzuwenden. Hierzu bedarf es der Veränderung von Strukturen sowie der Etablierung von Kinderschutzkonzepten innerhalb der Unterkünfte, in denen Kinder und ihre Familien leben.
  4. Es widerspricht dem gesetzlich verankerten Kinderschutz, wenn Kinder abgeschoben werden, die hier einen sicheren, ihre Entwicklung stärkenden Ort gefunden haben. Wir fordern ein Bleiberecht für diese Kinder und ihre Familien.
  5. Geflüchtete Kinder haben mit Vollendung des ersten Lebensjahres ab dem ersten Tag ihres Aufenthaltes in Berlin einen Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege, wenn dies von den Eltern gewünscht ist. Bürokratische Hürden, die das Recht dieser Kinder auf Entwicklung und Bildung negieren und ihren Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz einschränken, müssen abgeschafft werden.
    Wir fordern, dass jede Kita dabei unterstützt wird, geflüchtete Kinder aufzunehmen. Für die Betreuung von Kindern mit Fluchterfahrung und die Zusammenarbeit mit ihren Eltern müssen die Kitas bedarfsgerecht mit Personal und anderen Ressourcen ausgestattet werden. Qualifizierte Kinderbetreuungsangebote in den Unterkünften sind notwendig. Sie sollen Kinder und ihre Familien auf Betreuungsangebote im Sozialraum vorbereiten und diese ergänzen.
  6. Der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern mit Behinderungen muss in vollem Umfang Rechnung getragen werden. Sie haben Anspruch auf schnellen und umfassenden Zugang zu medizinischer und sozialpädiatrischer Behandlung und Beratung. Dem jeweiligen Krankheitsbild entsprechend, sind ihnen medizinische Hilfsmittel zu gewähren, die eine Verschlechterung ihres Zustandes verhindern, ihre Entwicklungsmöglichkeiten verbessern und die Familien entlasten.
  7. Über die tatsächliche Anzahl geflüchteter Kinder in Berlin besteht keine verlässliche Datenlage. Eine bedarfsgerechte Planung sowie daraus resultierende konkrete Handlungskonzepte zur Integration der Kinder können demnach nicht erarbeitet werden. Das Land Berlin hat dafür Sorge zu tragen, eine verlässliche Aussage über die Zahl der in Berlin lebenden geflüchteten Kinder zu treffen, sie nach Altersstufen zu systematisieren und diese Daten für andere Stellen verfügbar zu machen. Der Zuzug geflüchteter Familien muss in der Jugendhilfeplanung, Wohnungs- und Bauplanung u. ä. berücksichtigt werden. Alle Bezirke müssen sich diesen Aufgaben stellen und dabei von Land und Bund umfassend unterstützt werden.
  8. Die frühkindliche Forschung muss Wissen über die Belastungen, Stärken und Ressourcen von Kindern geflüchteter Familien generieren. Dieses Wissen bildet die Grundlage für die Erarbeitung von Fortbildungs- und Beratungskonzepten, die Fachkräfte im frühkindlichen Bildungsbereich und in der Familienbildung unterstützen, mit geflüchteten Kindern und deren Eltern zu arbeiten. Geflüchtete sind mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen an der Erarbeitung solcher Konzepte direkt zu beteiligen.
  9. Wir lehnen die Unterbringung von Familien in Not- und Sammelunterkünften grundsätzlich ab. Diese Unterkünfte sind keine guten Orte für Kinder. Ihr Schutz und die notwendige Förderung kann dort nicht gewährleistet werden. Geflüchtete Familien mit Kindern sollen vorrangig in geeigneten Unterkünften, die auf die Bedürfnisse von Familien ausgerichtet sind, untergebracht werden. In einem zweiten Schritt sollen sie schnellstmöglich in eigene Wohnungen ziehen können.
  10. Die Mitarbeiter_innen in Unterkünften, Ämtern wie auch in Kitas, Kindertagespflege, Familienzentren und ähnlichen Einrichtungen müssen dabei unterstützt werden, ihre kultursensiblen Kompetenzen zu erweitern. Hierzu müssen zeitnah entsprechende Fortbildungsangebote sowie Beratungsstellen für die Fachkräfte zur Verfügung gestellt werden.
  11. Für die Verständigung mit den Eltern und Kindern müssen Sprachmittler_innen zur Verfügung stehen, die unbürokratisch und bedarfsgerecht eingesetzt werden können. Dafür müssen umgehend finanzielle Mittel bereitgestellt werden.
  12. Um ihre Aufgaben im oben genannten Sinne verantwortungsvoll zu erfüllen, müssen Betreiber von Sammelunterkünften, das LAGeSo und Einrichtungen der Jugendhilfe auf der Basis verbindlicher Standards kooperieren, deren Ziel die bestmögliche Entwicklung der Kinder und die gesellschaftliche Beteiligung ihrer Familien ist. Diese Standards sind in den Verträgen festzuschreiben. Ihre Einhaltung ist in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.

Berlin, 11. 4. 2016

Das Positionspapier wurde erarbeitet und unterzeichnet von Menschen aus der frühpädagogischen Praxis und Theorie, aus Verwaltung, Beratung, Therapie, Fort- und Weiterbildung.